In dem Führungsimpuls heute wird es wieder um das Thema Verhalten gehen.
Genauer gesagt geht es um zwei gegensätzliche Verhaltensweisen, wovon eine schädlich für Organisationen ist – und die andere förderlich.
In der heutigen Folge wirst du:
- die beiden Verhaltensweisen kennenlernen (damit sie dir zukünftig auffallen).
- erfahren, weshalb eine der beiden geschäftsschädigend ist.
- die typischen Ursachen für die schädliche Verhaltensweise kennenlernen.
- Möglichkeiten an die Hand bekommen, wie du Mitarbeitende unterstützen kannst, zukünftig die förderliche Verhaltensweise aufzuzeigen.
"Zuständigkeitsdenken" vs. "Fortschrittsdenken"
Aufgefallen sind mir die Verhaltensweisen vor acht Jahren, in meiner ersten Führungsrolle als Betriebsleiter.
In der Zusammenarbeit mit meinen Mitarbeitenden habe ich zwei komplett gegensätzliche Verhalten beobachten können.
Ein Teil der Mitarbeitenden hat genau das gemacht, was in ihrer Stellenbeschreibung steht bzw. das, womit man sie beauftragt hatte.
… mehr aber auch nicht.
Konkret: Wenn sie Fehler in Arbeitspapieren, Zeichnungen oder Fertigungsaufträgen gefunden haben, haben sie den Auftrag liegen lassen und den nächsten begonnen (oder noch schlimmer – das Teil falsch gefertigt).
Wenn ihnen zu einem Fertigungsauftrag Material gefehlt hat, haben sie den Auftrag stehen lassen und den nächsten begonnen.
Wenn Material ohne Fertigungsauftrag in ihrem Bereich stand, haben sie es ignoriert.
Diesem Verhalten habe ich den Namen „Zuständigkeitsdenken“ gegeben, denn Personen, die dieses Verhalten zeigen, orientieren sich an ihrer Zuständigkeit.
Die Kernfrage im Zuständigkeitsdenken ist:
„Liegt das in meiner Zuständigkeit?“
Folgendes Bild kommt mir in dem Zusammenhang immer in den Kopf:
Auf der anderen Seite gab es den Teil der Mitarbeitenden, die auch über ihre „Zuständigkeit“ hinaus handelten.
Konkret: Sie haben sich bei Fehlern in Arbeitspapieren, Zeichnungen oder Fertigungsaufträgen proaktiv darum gekümmert, diese zu klären.
Bei fehlendem Material haben sie sich an den innerbetrieblichen Transport oder an ihre Teamleiter gewendet.
Wenn ihnen eine „herrenlose“ Palette mit Material aufgefallen ist, haben sie diese ebenfalls den Teamleitern gemeldet.
Diese Verhaltenstendenz bezeichne ich als Fortschrittsdenken.
Da Menschen, die dieses Verhalten aufzeigen, sich daran orientieren, Themen, Vorgänge, Prozesse etc. voranzubringen (auch wenn sie außerhalb ihrer Zuständigkeit liegen).
Die Kernfrage im Fortschrittsdenken ist:
„Wie kann ich die Sache / das Thema / den Vorgang voranbringen und was muss ich dazu tun?“
Dabei geht es nicht darum, die Arbeit von anderen für sie zu erledigen, sondern vielmehr darum, sich an die entsprechenden Personen zu wenden, damit die Sache vorangeht.
Natürlich lässt sich dieses Verhalten nicht nur im Produktionsumfeld beobachten.
Seitdem mir diese beiden Verhaltenstendenzen bewusst geworden sind, habe ich sie in JEDEM Bereich beobachten können … egal, ob Vertrieb, Einkauf, Finanzen, Entwicklung etc.
Sogar Geschäftsführer sind nicht davor bewahrt, ins Zuständigkeitsdenken zu verfallen, wie ich kürzlich erlebt habe (und du gleich anhand eines Beispiels sehen wirst).
Wichtig zu verstehen ist, dass Fortschrittsdenken und Zuständigkeitsdenken stark kontextabhängig sind.
Das bedeutet, bei den meisten Menschen sind beide Denkweisen grundsätzlich vorhanden.
Welches sich davon jedoch zeigt, ist von Umfeld (Arbeit oder Privat), Motivation, gemachten Erfahrungen und von den Personen, mit denen wir interagieren (z. B. unseren Vorgesetzten) abhängig.
Warum Zuständigkeitsdenken ein Problem ist
Um im heutigen Marktumfeld bestehen zu können, müssen Organisationen kontinuierlich daran arbeiten, ihre Service- und Lieferzeit zu verkürzen, die Kosten zu reduzieren und die (Service-) Qualität zu verbessern.
Eine Organisation, die das nicht macht, wird früher oder später vom Markt verschwinden (sofern sie im freien Markt tätig ist).
Jedes Mal, wenn ein Vorgang aufgrund von Zuständigkeitsdenken zum Erliegen kommt, wirkt sich das unmittelbar auf einen (oder mehrere) der drei Faktoren aus:
- Die Kosten werden höher (aufgrund des Mehraufwandes, den Vorgang wieder ins Laufen zu bringen und gegebenenfalls zu beschleunigen).
- Die Service-/Lieferzeit wird länger (aufgrund der Liegezeiten des Vorgangs).
- Die (Service-) Qualität wird schlechter (aufgrund verloren gegangener Informationen, sowie nicht bearbeiteter oder fehlerhaft bearbeiteter Vorgänge).
Besonders schädlich ist ein Zuständigkeitsdenken, wenn es von Personen gezeigt wird, die direkt mit Kunden zusammenarbeiten (Service, Vertrieb, Telefonhotline …).
Denn für Kunden gibt es nichts so Frustrierendes, wie das Gefühl, sich mit seinem Anliegen nicht ernst genommen zu fühlen.
Bestimmt kennst du folgende Situation:
Nach gefühlten 45 Minuten in der Servicehotline sagt die Person am anderen Ende:
„Das tut mir leid, aber für dieses Anliegen sind die Kollegen einer anderen Abteilung zuständig. Ich gebe Ihnen mal die Telefonnummer.“
Warum kann diese Person keine Verbindung herstellen oder einen Rückruf vereinbaren?!
Wie du also siehst, ist Zuständigkeitsdenken geschäftsschädigend.
Hier ein Beispiel, wie das Zuständigkeitsdenken eines Geschäftsführers zu mehreren Monaten verlorenem Umsatz geführt hat:
Ein Beispiel für Zuständigkeitsdenken
Vor ein paar Wochen wollte ich spontan ein Co-Working-Space ausprobieren, um zu entscheiden, ob ich mich dort über mehrere Wochen einmieten möchte.
Der Co-Working-Space war mit etwas Fahrzeit verbunden.
Um nicht vor verschlossener Türe zu stehen, habe ich vorher versucht, anzurufen.
Bei der Telefonnummer des Co-Working-Spaces hat niemand abgenommen (trotz Anrufs innerhalb der Öffnungszeiten).
Also habe ich bei der Telefonnummer des betreibenden Unternehmens angerufen.
Abgenommen hat einer der beiden Geschäftsführer.
Auf meine Frage hin, ob der Co-Working-Space heute geöffnet sei, meinte er:
„Puh, das weiß ich gerade nicht. Heute ist mein Geschäftsführer-Kollege für den Co-Working-Space zuständig.“
Ich:„Und jetzt?“
Der Geschäftsführer:„Da müsstest du versuchen, meinen Kollegen zu erreichen …“
Ich:„Ok, wie erreiche ich ihn am besten?“
Der Geschäftsführer: „Hmm … Schreib doch eine E-Mail an den Co-Working-Space … Wenn er da ist, wird er sie sicherlich beantworten“.
Ich (gedanklich):„WTF?! Im Ernst? – Kunden scheint ihr nicht zu benötigen …“
Ich (tatsächlich):„OK, danke ...“ Aufgelegt.
Ein Paradebeispiel für Zuständigkeitsdenken:
„Er war heute nicht für den Co-Working-Space zuständig …“
Das Resultat: Ein potenzieller Kunde (für eine Langzeitmiete) weniger.
Wie hätte ein Fortschrittsdenken aussehen können?
Wenn der Geschäftsführer zum Beispiel Folgendes gesagt hätte:
„Das kann ich dir gerade leider nicht sagen, da ich nicht vor Ort bin und mein Kollege das Space heute betreut … aber lass mich ihn kurz anrufen und es klären. In spätestens 5 Minuten hörst du von mir.“
Das wäre Fortschrittsdenken gewesen. Es hätte gezeigt, dass dem Geschäftsführer etwas daran gelegen ist, den Vorgang (potenzielle Akquise) voranzubringen.
Wie du Mitmenschen unterstützen kannst, ins Fortschrittsdenken zu kommen
Um Mitmenschen dabei zu unterstützen, vom Zuständigkeitsdenken in das Fortschrittsdenken zu kommen, ist es wichtig, die Ursache für das Zuständigkeitsdenken zu kennen.
Denn wenn du die Ursache kennst, kannst du deine „Intervention“ entsprechend gestalten.
Häufige Ursachen, die ich aus den unterschiedlichsten Perspektiven (Führungskraft, Berater und Coach) beobachten konnte, sind:
(Natürlich gibt es auch noch andere Ursachen)
1. Unwissenheit und fehlende Erfahrung
Ein häufiger Fall ist, dass Mitarbeitenden gar nicht bewusst ist, dass von Ihnen ein Fortschrittsdenken erwartet wird.
Das hat meist zwei Gründe:
- Die Erwartung wurde nie explizit geäußert.
- Es wurde in der Vergangenheit nicht von ihnen erwartet.
An dieser Stelle gilt das als „Hanlons Rasiermesser“ bekannte Prinzip:
„Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Unwissenheit hinreichend zu erklären ist“.
Siehe dazu auch den Führungsimpuls #003: Wie du die Beziehung zu deinen Mitmenschen verbesserst.
Wie du als Führungskraft intervenieren kannst:
Grundsätzlich sollte dein erster Schritt immer sein, die Situation besser zu verstehen und deine gegebenenfalls vorhandene Hypothese zu überprüfen (das gilt auch für alle folgenden Ursachen).
Dazu schilderst du am besten objektiv deine Beobachtung und versuchst mit Verständnis Fragen die Ursache herauszufinden.
Ein Beispiel für eine solche Verständnisfrage ist:
„Was hat dich daran gehindert, den Vorgang weiter zu bearbeiten?“
Wenn du feststellst, dass es tatsächlich Unwissenheit ist, kannst du der Person:
- den Sachverhalt inklusive des Gesamtzusammenhangs erläutern:
- Warum ist es wichtig, dass die Person zukünftig die Verantwortung für dieses Thema mit übernimmt?
- Was ist die Konsequenz, wenn sie es nicht tut? (Für das Team, das Unternehmen, die Kunden etc.)
- deine Erwartungshaltung schildern (Wie sollte die Person sich zukünftig verhalten oder worauf soll sie achten?)
- mit der Person zusammen erarbeiten, wie eine solche Situation in Zukunft komplett vermieden werden könnte (z. B. Einarbeitung überarbeiten etc.).
2. Fehlendes Problembewusstsein
Wenn ein Problem gelöst werden soll, muss es zuerst als Problem erkannt werden können.
Dazu braucht es vor allem ein Verständnis für den Gesamtzusammenhang (welches in vielen Unternehmen den Mitarbeitenden leider noch verwehrt wird).
Solange Mitarbeitende den Termin- oder Preisdruck hinter Vorgängen nicht kennen – oder die Auswirkungen ihres Handelns auf die Folgeprozesse – existiert aus ihrer Perspektive noch kein Problem, wenn ein Vorgang bei ihnen liegen bleibt.
Typische Aussagen, die auf ein fehlendes Problembewusstsein hindeuten, sind:
- „Ich dachte, das ist nicht so wichtig.“
- „Ich dachte, das hat noch Zeit.“
- „Ich dachte, bestimmt wird sich jemand darum kümmern.“
Wie du als Führungskraft intervenieren kannst:
Auch hier ist der erste Schritt, die Situation besser zu verstehen und deine gegebenenfalls vorhandene Hypothese zu überprüfen.
Wenn du festgestellt hast, dass die Person aufgrund eines fehlenden Problembewusstseins ins Zuständigkeitsdenken verfallen ist, kannst du die gleiche Intervention anwenden wie bei „Unwissenheit und fehlende Erfahrung“.
3. Fehlende Motivation
Eine weitere Ursache für das Verfallen ins Zuständigkeitsdenken kann fehlende Motivation sein.
Bei dem Thema Motivation ist es wichtig zu verstehen, dass es nicht deine Aufgabe ist, Mitarbeitende zu motivieren.
Denn nachhaltige Motivation kommt immer von innen heraus (und nicht durch Geld, Boni, Obstkörbe oder „Tschakka“).
Allerdings kann diese innere Motivation durch externe Faktoren reduziert oder gar ausgelöscht werden.
Wie du als Führungskraft intervenieren kannst:
Daher ist es deine Aufgabe als Führungskraft dafür zu sorgen, dass die demotivierenden Faktoren eliminiert werden (siehe Reinhard K. Sprenger – „Mythos Motivation“*).
Dazu gehört, unter anderem dafür zu sorgen, dass deine Mitarbeitenden die drei maßgeblichen Faktoren für natürliche Motivation (nach Daniel Pink) erfahren:
- Die Möglichkeit, eigenständig zu handeln (Autonomie)
- Die Möglichkeit, sich zu verbessern und zu wachsen (Meisterschaft)
- Einen tieferen Sinn hinter ihrem Handeln zu verspüren (Sinn)
Siehe dazu meinen Blogbeitrag: „Wie du nachhaltig motivierte Mitarbeiter*innen erhältst!“ und Daniel Pinks hervorragendes Buch „Drive“*.
4. Fehlender Glaube (oder fehlendes Vertrauen), etwas bewirken zu können
Diese Ursache hat häufig mit dem vergangenen Führungsverhalten zu tun.
In nahezu jedem produzierenden Unternehmen, welches wir im Rahmen unserer Unternehmensberatung in den vergangenen Jahren begleitet haben, erleben wir diese Ursache.
Einer unserer Beratungs- (und Führungsgrundsätze) ist:
„Niemand kennt den Prozess besser als die Mitarbeitenden, die ihn tagtäglich ausführen.“
Daher arbeiten wir bei unseren Beratungsprojekten (egal ob als Interim-Produktionsleiter oder als Berater) immer direkt mit den operativen Mitarbeitenden.
Was wir dort immer wieder zu hören bekommen, ist:
- „Warum soll ich mich um Dinge kümmern? Es wird (wurde von vergangenen Führungskräften) ohnehin nicht erwünscht“.
- „Wenn ich etwas sage, werde (wurde) ich darauf aufmerksam gemacht, dass das Mitdenken nicht meine Aufgabe sei“.
- „Ich habe schon so oft etwas gesagt, aber es hat niemanden interessiert“.
- „Ich habe schon so oft etwas gesagt, aber es hat sich nie etwas getan“.
Das „Zuständigkeitsdenken“ kann in diesem Fall ein Schutzmechanismus sein, der Mitarbeitende vor Enttäuschung oder Erniedrigung schützt.
Zurückzuführen ist dieses Phänomen auf ein altes Führungsverständnis:
Die Führungskraft sieht sich als der „Experte“ und meint am besten wissen zu müssen, wie etwas abzulaufen hat – und die Mitarbeitenden seien lediglich da, um ihre „Befehle“ auszuführen.
Dieses Führungsverständnis war allerdings noch nie zeitgemäß und ist es heute umso weniger, aber das ist noch lange nicht bei allen Führungskräften und Organisationen durchgedrungen.
Aber auch nach einer Änderung im Führungsverständnis oder einem Wechsel der Führungskräfte sind die Auswirkungen häufig noch zu spüren …
… denn die jahrelange Prägung hat „Narben“ bei den Mitarbeitenden hinterlassen, die heute noch Wirkung zeigen.
Wie du als Führungskraft intervenieren kannst:
Wenn du das Gefühl hast, dass Mitarbeitende aus diesem Grund im Zuständigkeitsdenken verharren, ist der erste Schritt Vertrauen aufzubauen.
Das geht nur, indem du viel präsent bist und dich mit ihnen beschäftigst.
Höre dir ihre Probleme, Sorgen und Herausforderungen an.
Und versuche, mit ihnen gemeinsam nach schnell umsetzbaren Lösungen für ihre Probleme und Herausforderungen zu suchen.
Sorge dafür, dass schnelle Ergebnisse spürbar sind (z. B. indem du die schnell lösbaren Probleme zuerst angehst).
Das führt dazu, dass das Misstrauen der Mitarbeitenden gegenüber Führungskräften verschwindet und langsam durch Vertrauen ersetzt wird.
Sobald Mitarbeitende erleben, dass sie etwas bewirken können, werden sie häufig automatisch in das Fortschrittsdenken kommen.
Soweit zur Theorie. Nun zur Praxis.
Action Zone
- Wie du aktiv werden kannst -
Action Zone - so wirst du aktiv:
Starte bei dir
- Beobachte über die nächsten Tage mal dein Verhalten.
- Wann zeigst du Fortschrittsdenken?
- Wann zeigst du gegebenenfalls Zuständigkeitsdenken?
- Wenn du Zuständigkeitsdenken bei dir bemerkt hast:
- Was ist die (schädliche) Auswirkung auf „die Sache“?
- Was müsstest du tun, um „die Sache“ voranzubringen?
- Nutze ggf. das Catch Sooner Spiel, um mehr ins Fortschrittsdenken zu kommen (Siehe den Führungsimpuls: #005: Verhaltensänderung leicht gemacht)
Unterstütze deine Mitarbeitenden
- Achte in den nächsten Tagen gezielt auf das Verhalten deiner Mitarbeitenden.
- Wer zeigt wann Fortschrittsdenken?
- Wer zeigt wann Zuständigkeitsdenken?
- Überlege dir, woran das Zuständigkeitsdenken liegen könnte.
- Nutze die oben vorgestellten Interventionen, um deine Mitarbeitenden zu unterstützen, ins Fortschrittsdenken zu gelangen.
Jetzt viel Spaß beim Reflektieren und Anwenden.
Alles Gute,
Niko